Schreibwerkstatt

 

Schreibwerkstatt mit der Bachmannpreis-Trägerin Birgit Birnbacher in Freistadt

Die Förderung des literarischen Schaffens ist eines der langfristigen Ziele der Brigitte Schwaiger-Gesellschaft. Am ersten Märzwochenende 2024 fand daher erstmals eine Schreibwerkstatt unter der Leitung der bekannten Salzburger Autorin Birgit Birnbacher statt.

Siehe auch Schreibwerkstatt mit Autorin Birgit Birnbacher.

Autorin Birgit Birnbacher mit acht der zehn Teilnehmer:innen der Schreibwerkstatt 2024.

 

Hier die Rückmeldung einer Teilnehmerin:

Inja Kargl: Schreibwerkstatt mit Birgit Birnbacher

Vom 1. bis 3. März 2024 habe ich einen von der Brigitte-Schwaiger-Gesellschaft veranstalteten Schreib-Workshop in Freistadt besucht. Zusammen mit der Autorin Birgit Birnbacher („Ich an meiner Seite“, „Wovon wir leben“, …) fand die Schreibwerkstatt in der HAK/HTL in Freistadt statt. Wir waren zehn Teilnehmer und Teilnehmerinnen und jeder/jede hatte einen Text parat, zu dem man Feedback haben wollte.
Am Freitag begann der Workshop um 14:00 Uhr mit einer Begrüßung durch die Brigitte-Schwaiger-Gesellschaft. Es folgte eine kurze Vorstellrunde. Anschließend erklärte uns Birgit Birnbacher den Ablauf: Für jeden Text sollen wir uns eine dreiviertel Stunde Zeit nehmen, in der dieser vorgelesen wird, und anschließend folgen eine Feedbackrunde und eine Analyse.

 

Im Folgenden finden Sie Texte der teilnehmenden Jugendlichen:

Iris Leopoldseder: Irym

Irym war eine kleine Insel, zwei Tage mit dem Schiff vom Festland entfernt. Einige sahen Irym nur als kargen, bewachsenen Felsen im Meer, andere sagten, es sei nicht erwähnenswert und wieder andere hatten noch nie in ihrem Leben von der Insel gehört. 
 Wenn der Herbst an die Tür klopfte, war dies der Anbruch einer rauen, düsteren Zeit für Iryms Bewohner. Der Nebel war so dicht am Morgen, dass man die Hand vor den Augen nicht sah – aber es war kein Vergleich zu den Stürmen, die Tag für Tag über die Insel hinwegfegten. Winde, so stark, dass man glaubte, in die Luft gerissen zu werden. Regen, dessen Tropfen wie Messer vom Himmel regneten und einem binnen Sekunden das Gefühl gab, die Haut würde einem mitsamt der Kleidung vom Körper gerissen werden. Danach wurde es kaum besser: Im Winter war es bitterkalt und die Wolken ließen so viele weiße Flocken fallen, dass man kaum die Haustür öffnen konnte. Man verkroch sich in die Häuser, vor dem prasselnden Kaminfeuer kauerten sich die Familien unter Decken zusammen und beteten zu den Göttern, dass die Schneestürme weiterzogen. Im Frühling verging diese Zeit des Zauderns, denn im Frühling, nachdem die Schneestürme über die Insel hinweggefegt waren und es allmählich zu Tauen begann, zeigte sich, dass Irym keineswegs ein karger Fels war. Wenn die ersten Vögel zu zwitschern begannen, brach auch Iryms Schönheit hervor. Saftiges Gras, welches sich im Wind wiegte und Blumenfelder, die sich bis zum Strand erstreckten.
 An solch einem schönen Frühlingstag trat der achtjährige Rob aus seinem Haus. Ein gutes Haus aus festen Eichenstämmen und Stein, die den Stürmen im Herbst und dem Schnee im Winter trotzten. Rob schloss die schwere Tür hinter sich und ging zwischen den Häusern die Straße entlang zum Hafen. Von dem Haus seiner Familie war es nur ein kurzer Weg zum Hafen. 
 Irym hatte zwei kleine Dörfer - eins um den Hafen herum und ein anderes auf dem Berg. Und dort wollte Rob hin. Der kleine Rob hatte nämlich eine bedeutende Aufgabe. Er durfte jetzt schon seit fast einem Jahr den alltäglichen Brief der Hafenwächter zu den Wachen im Bergdorf tragen. Eine Aufgabe, die Rob nur zu gern erledigte. 
 Es waren nicht viele Schiffe am Hafen von Irym – es waren hauptsächlich Fischerboote und kleine Langboote. Alle drei Tage kam ein größeres Schiff vom Festland, mit Lieferungen von allen möglichen Dingen, an. Morgen war wieder so ein Tag, diese Tage mochte Rob am meisten – neben den sonnigen Frühlingstagen und den kühlen Sommertagen, von denen es nicht allzu viele gab. Rob grüßte einen Fischer, der sein Boot für die tägliche Arbeit vorbereitete. Das Wasser im Hafen sah schon fast türkis aus und Sonnenlicht tanzte über die Wellen. Der Geruch von Brachwasser und angebratenem Fisch stieg dem Jungen in die Nase. 
 Rob betrachtete das Meer im Vorbeigehen allerdings kaum, er konzentrierte sich nur auf das große Steinhaus am Rand des Hafens. Es war schon fast traurig, fand Rob, wie heruntergekommen die Kaserne der Hafenwächter war. Seit fast drei Jahrhunderten stand es schon hier, Wind, Wetter und dem Meer ausgesetzt. Rob stieg die Steinstufen zum Eingang hinauf und schaute die Wache in blank polierter Rüstung und mit dem Speer in der rechten und dem Schild in der linken Hand an. Diese besah ihn mit einem kurzen Blick und ließ Rob dann passieren. 
 Jedes Mal, wenn Rob in die Kaserne ging, erfüllte es ihn mit Stolz – welcher Achtjährige konnte schon von sich behaupten, im Dienst von den herausragenden Kriegern des Königreichs zu stehen? Rob hatte nämlich einen Traum: Er wollte, sobald er alt genug war, selbst Soldat werden. Seit er das erste Mal – als er alt genug war, um es zu verstehen, was das Wort Soldat bedeutete – einen Soldaten gesehen hatte, hatte er selbst ein Bild von sich im Kopf: Rob, in glänzender Rüstung, ein Schwert in der Hand auf dem Schlachtfeld. Zu dumm nur, dass es seit Jahrhunderten keinen Krieg mehr gegeben hatte.
 Mit Bildern von sich im Kopf, wie er erfolgreich Feinde, die es nicht gab, vertrieb, stieg er die Stufen zum Büro des Schreibers hinauf. Dieser hatte – wie jeden Tag – schon den Bericht verfasst und war bereits über ein weiteres Blatt Papier gebeugt. Rob nahm den versiegelten Bericht und steckte das zusammengerollte Blatt Papier in seine lederne Umhängetasche. 
 »Guten Morgen«, sagte Rob – eine Begrüßung und eine Verabschiedung. Der Schreiber wedelte nur mit seiner tintenbefleckten Hand herum und zischte: »Und jetzt beeil dich Junge, und stör mich nicht weiter.« Der grummelige alte Mann war wohl gereizt – wie jedes Mal, wenn Rob auftauchte. Rob dachte aber gar nicht daran, sich beirren zu lassen. Also stieg er frohen Mutes die Treppe wieder hinunter, die er gekommen war und machte sich auf den Weg in das höhergelegene Bergdorf. 
 Und als Rob in den wolkenlosen, sonnigen Himmel blickte wusste er, dass heute ein guter Tag werden würde. 

Iris Leopoldseder, Gymnasium Freistadt

 

Zehn Jugendliche aus fünf verschiedenen Schulen freuten sich über die Feedbacks von Birgit Birnbacher.

 

Über die drei Tage verteilt, wurde somit Text für Text vorgetragen und die Textsorten reichten von einem Inneren Monolog über das „In-Worte-Fassen“ eines Musikstückes bis zu ausgereiften Romantexten. Ich war von der Vielfältigkeit und der Kreativität der Texte schwer beeindruckt. Am Sonntag machten wir noch eine kurze Abschlusslesung. Jeder/jede suchte sich einen eigenen Text aus, der vorgelesen wurde. Es war faszinierend, die Unterschiede der überarbeiteten Texte, verglichen mit der Erstvorlesung, zu erkennen.
Man hatte das Gefühl, dass man in diesem geschützten Rahmen alles sagen kann, was auch nur im Entferntesten mit Literatur zu tun hat, weil nur Gleichgesinnte anwesend waren. Ich hoffe, dass es in Zukunft ähnliche Veranstaltungen gibt, die das Schreiben von jungen Menschen unterstützen, da dieser Schreibworkshop eine sehr inspirierende Erfahrung für mich war.

© Inja Kargl, März 2024, BORG Hagenberg

 

Stefanie Wimmer: Fünfzehn

Kleidung, zu der jeder eine Meinung abgeben muss, jedes Wort, das die Münder der Menschen verlässt, beeinflusst sie, prägt ihre Meinung über ihr Aussehen. Wie soll sie sich durch Kleidung ausdrücken, wenn sie für alles kritisiert wird? Wie soll das Mädchen jemals zu einer selbstbewussten Frau heranwachsen?
Sie ist fünfzehn Jahre alt und hält nichts von den Meinungen der Männer auf der Straße oder in ihrem Wohnzimmer, doch unter keinen Umständen würde sie sagen was sie denkt.
Sie ist fünfzehn.
 Die Musik strömt durch ihre Kopfhörer mit der Hoffnung, das Außenleben auch nur für einen Moment vergessen zu können. Die Lieder erlauben ihr, sich zu verlieren, in ihren Gedanken zu verlaufen. Gestern während sie auf dem Weg nach Hause mit dem Bus war, rannte sie wild durch ein Maisfeld, während sie herzlich lachte und zurück auf die Liebe ihres Lebens blickte. Letzen Abend war sie die Prinzessin ihres Königreichs und tanze mit ihrem Erzfeind auf dem eleganten Ball zwischen Tüll und Sakkos, um die Deckung ihrer Mission nicht auffliegen zu lassen. Eventuell realisierte sie im Laufe des Abends, dass er doch nicht so schlimm war und sie erwischte sich selbst, als sie hypnotisiert auf die Lachfalten und Sommersprossen des jungen Mannes starrte. 
Nachts, wenn sie nicht schlafen kann, holt sie ihren Laptop heraus und öffnet Word in der Hoffnung, ihre Gefühle in Worte fassen zu können, doch meistens wird das Gerät nach einigen Minuten mit Frustration geschlossen und die Aggressionen gehen auf das Kissen über, das jetzt bestimmt laute Schreie abdämpfen müsste, wenn es nicht zwei Uhr nachts wäre. 
Auf ihrem Sessel sammeln sich Klamotten, sie liegt im Bett und es fühlt sich unmöglich an, jemals wieder aufstehen zu können. Ihre Mutter schreit ihr zum Essen, doch sie hat keine Energie, auch nur ein bisschen Appetit aufbringen zu können. Sie i(s)st nichts. 
Fünfzehn. 
 ‚Du bist jung, du hast keinen Grund, dass es dir schlecht geht‘
‚Anderen geht es schlechter‘
‚Du hast Essen auf dem Tisch und ein Dach über dem Kopf!‘
Ihr geht es gut.
Ihr geht es gut.
Ihr geht es nicht gut.
‚Sie will bestimmt nur Aufmerksamkeit‘
Vielleicht will sie ‚nur‘ Aufmerksamkeit, aber wäre das wirklich so schlimm?
Vielleicht will sie nur jemanden der sie sieht, sie wahrnimmt, ernst nimmt. 
Druck
Druck, den sie nicht mehr aushält
Erwartungen 
Erwartungen, denen sie nicht nachkommt.
Stolz
Stolz, zu dem sie aufleben muss. 
Angst
Angst, nicht genug zu sein. Angst, zu versagen. Angst, sich selbst zu enttäuschen.
Sie will es ja machen, doch warum ist es dann so schwer?
Sie gibt ihr Bestes, doch irgendwie ist es nie genug.
Sie scrollt gedankenlos durch Social Media, und obwohl sie nicht einmal an dem ganzen Drama interessiert ist, fühlt es sich an wie eine Pflicht. Irgendwo auch wie ein Zufluchtsort, ein Ort, an dem sie ihre Verpflichtungen ignorieren kann. Wenn man Social Media als eine Person ansehen würde, wäre die Verbindung zwischen ihr und Social Media wahrscheinlich als toxischste Beziehung in ein Guinness-World-Record Buch eingetragen worden. 
Sie ist fünfzehn, sie hat noch Zeit, doch es fühlt sich an, als ob alles schon zu spät sei. Der Zug fuhr genau vor ihrer Nase davon, obwohl sie nicht einmal zu spät war – sie war drei Stunden vor Abfahrt an der richtigen Plattform, doch jetzt ist er weg. Sie hatte ihre Chance verpasst und es bleibt unklar, ob noch eine kommt oder ob das die Endstation ist.
Fünfzehn.

Stefanie Wimmer, HLW Freistadt

Fotos © Alexandra Grill